Medikamente, die vorwiegend auf GLP-1-Rezeptoragonisten basieren, sind weiterhin im Trend. Mit den sogenannten „Abnehmspritzen“ kann man angeblich ohne große Ernährungsumstellung und vermehrte Bewegung relativ einfach abnehmen. Neben dem speziell für die Gewichtsreduktion designten „Wegovy“ gibt es vor allem auf die Diabetes-Medikamente „Mounjaro“ und „Ozempic“ einen regelrechten Run. Dieser ist so groß, dass Menschen mit Diabetes, die solche Präparate benötigen, regelmäßig in Apotheken mit der Nicht-Verfügbarkeit der begehrten Spritzen konfrontiert sind.
Die Diabetesberaterin Leyla Herzallah ist angesichts dieser Entwicklung besorgt und versucht über den eigentlichen Verwendungszweck der sogenannten „Abnehmspritzen“ aufzuklären. Im Interview haben wir sie dazu befragt.
Leyla, große Firmen wie Novo-Nordisk und Eli Lilly feiern die Präparate „Wegovy“ und „Mounjaro“ als den Gamechanger in Sachen Abnehmen. Bist Du auch so begeistert?
Ich bin auf jeden Fall von den Präparaten begeistert. Sowohl bei der Behandlung von Diabetes Typ 2 als auch bei der Therapie von krankhafter Adipositas mit Begleiterkrankungen bin ich sehr überzeugt von diesen Medikamenten, da sie in vielerlei Hinsicht helfen können. Gerade bei Menschen mit Diabetes Typ 2, die an einer Insulinresistenz leiden, zeigen diese Medikamente eine deutliche Wirkung.
Insulinresistenz geht oft mit einem erhöhten Risiko für Lebererkrankungen wie die nicht-alkoholische Fettleberhepatitis (NASH) und kardiovaskuläre Ereignisse einher. Die Reduktion der Insulinresistenz sollte deshalb ein zentrales Ziel in der Behandlung sein.
Hier können Semaglutid und Tirzepatid eine wertvolle unterstützende Rolle spielen. Studien belegen, dass diese Präparate nicht nur den Blutzucker regulieren, sondern auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen signifikant senken.
Im Profil
Leyla Herzallah

Leyla ist seit rund 11 Jahren Diabetesberaterin (DDG) und lebt in Riegelsberg im schönen Saarland.
Ein glücklicher Zufall leitete ihre berufliche Karriere ein: Als medizinische Fachangestellte und Tochter eines Vaters mit Diabetes wurde ihr Potential vom Chefarzt erkannt und ihr die Weiterbildung zur Diabetesberaterin ermöglicht. Heute übt sie den Beruf mit großer Leidenschaft aus. Für Leyla steht der Mensch im Mittelpunkt, individuelle Lösungen sind ihre Stärke.
Neben ihrer Tätigkeit in verschiedenen Arztpraxen bietet Leyla auch Beratungen und Schulungen über ihre Website an.
Am 30. Januar begrüßen wir sie als Gast bei DIA-AID live und über Himmelfahrt wird sie auch bei unserem Eltern-Kind-Wochenende in Obernkirchen dabei sein.
Wie erklärst Du Dir, dass ein Diabetes-Medikament wie „Ozempic“ massenhaft als Abnehmmittel Verwendung findet?
Das liegt wohl zum größten Teil an dem gewichtsreduzierenden Effekt, den sich viele Menschen zu Nutze machen, insbesondere in einer Gesellschaft, in der das Ideal eines schlanken Körpers stark propagiert wird. Viele kennen hauptsächlich den gewichtsreduzierenden Effekt von Ozempic. Ozempic (Semaglutid) ist jedoch ein GLP-1-Rezeptoragonist, der die Wirkung des körpereigenen Hormons GLP-1 (Glucagon-like Peptid) nachahmt und mehrere Effekte hat. Es senkt den Blutzucker, indem es die Insulinfreisetzung in der Bauchspeicheldrüse stimuliert und gleichzeitig die Ausschüttung von Glukagon (dem Gegenspieler von Insulin) hemmt. Zudem verlangsamt es die Magenentleerung, wodurch Blutzuckerschwankungen nach den Mahlzeiten reduziert werden.
Der Effekt, den sich viele Menschen zu Nutze machen, ist die Appetitzügelung: Semaglutid wirkt auf das Sättigungszentrum im Gehirn, was das Hungergefühl mindert und zu einer Gewichtsreduktion führt.

Der Hype um Ozempic wurde zusätzlich verstärkt, als prominente Persönlichkeiten öffentlich von ihren Erfahrungen mit dem Medikament berichteten oder es indirekt bewarben. Dies führte zu einer massenhaften Nachfrage, die den ursprünglichen Einsatzzweck die Behandlung von Diabetes in den Hintergrund rückte und das Medikament immer stärker als Abnehmmittel etablierte.
Ich stehe dem jedoch sehr kritisch gegenüber, da in der Diabetologie Semaglutid nicht nur aufgrund des gewichtsreduzierenden Effekts eingesetzt wird. Der Wirkstoff Semaglutid ist ausschließlich zur Behandlung von Diabetes (Medikament: Ozempic) und Adipositas (Medikament: Wegovy) zugelassen und wurde nicht für Menschen getestet, die einfach nur ein bisschen abnehmen wollen.
"Der Wirkstoff Semaglutid ist ausschließlich zur Behandlung von Diabetes (Medikament: Ozempic) und Adipositas (Medikament: Wegovy) zugelassen und wurde nicht für Menschen getestet, die einfach nur ein bisschen abnehmen wollen."
Wie ergeht es Menschen mit Diabetes Typ 2, die bisher auf einen bestimmten GLP-1-Rezeptoragonisten eingestellt waren und diesen nun plötzlich nicht mehr bekommen? Müssen sie zurück auf eine reine Tablettentherapie?
Viele Menschen mit Diabetes Typ 2 sind enttäuscht und frustriert, wenn sie plötzlich keinen GLP-1-Rezeptoragonisten mehr erhalten können. Diese Medikamente haben nicht nur geholfen, den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren, sondern auch zusätzliche Vorteile wie Gewichtsreduktion und eine Verbesserung der kardiovaskulären Gesundheit gebracht. Das Fehlen dieser Therapie kann zu einer Verschlechterung der Blutzuckerkontrolle führen und das Gefühl der Frustration verstärken, was die Lebensqualität beeinträchtigt.
Für viele Patienten, insbesondere diejenigen mit zusätzlichen Gefäßerkrankungen und Übergewicht, sind diese Medikamente sehr wichtig. Wenn der Wirkstoff plötzlich nicht mehr verfügbar ist, kann es zu Schwierigkeiten kommen, da auch andere Medikamente aus dieser Gruppe oft schwer zu bekommen sind. In solchen Fällen muss die Therapie auf andere Optionen umgestellt werden, wie zum Beispiel Tabletten aus der Gruppe der SGLT-2-Hemmer, die jedoch nicht die gleiche Wirkung bieten. Eine andere Möglichkeit wäre eine vorübergehende Insulintherapie. Diese kann jedoch problematisch sein, besonders bei Patienten mit Insulinresistenz, da Insulin den bestehenden Hyperinsulinismus (zu viel Insulin im Blut) verstärken und Entzündungsprozesse im Körper anregen kann. Dies könnte die Insulinresistenz weiter verschärfen und das kardiovaskuläre Risiko erhöhen.
Leyla bei DIA-AID live

Mehr zu diesem und anderen Themen rund um Diabetes-Medikamente erfahrt Ihr in unserem DIA-AID live mit Leyla am 30. Januar um 19 Uhr. Ihr könnt Euch hier anmelden.
Wie effizient sind die Spritzen in Sachen Abnehmen deiner Erfahrung nach denn nun wirklich? Wie heftig und häufig bekommst Du von Nebenwirkungen mit?
Meinen Erfahrungen nach ist die Gewichtsreduktion mit GLP-1-Rezeptoragonisten in Kombination mit einer Anpassung der Lebensstilfaktoren wie Ernährung und Bewegung sehr effektiv. Menschen, die ihre Ernährungsgewohnheiten nicht ändern und keine Bewegung in ihren Alltag integrieren, erzielen häufig wenig oder gar keine Gewichtsreduktion. Ein wichtiger Faktor ist auch, dass Patienten, die hohe Insulinmengen spritzen, häufig weniger Erfolg mit der Gewichtsreduktion haben, da Insulin den Fettstoffwechsel und die Fettverbrennung hemmt. Daher ist es für den behandelnden Arzt entscheidend, gegebenenfalls das exogene Insulin zu reduzieren, insbesondere bei Patienten mit hoher Insulinmengen, um den gewichtsreduzierenden Effekt von GLP-1 zu unterstützen.
Wie bei allen Medikamenten gibt es auch bei GLP-1-Rezeptoragonisten Nebenwirkungen. Die meisten Patienten vertragen die Behandlung gut, während andere zu Beginn der Therapie über Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung oder Bauchschmerzen klagen. Einige Patienten vertragen das Medikament insgesamt nicht, sodass eine Fortsetzung der Therapie nicht möglich ist. Die meisten Nebenwirkungen treten in den ersten Wochen nach Beginn der Behandlung auf und lassen sich in der Regel durch eine schrittweise Erhöhung der Dosis lindern. Es ist auch üblich, dass einige Patienten in den ersten Tagen nach der Injektion Übelkeit verspüren, die jedoch meist wieder nachlässt.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass eine dauerhafte Veränderung des Lebensstils unerlässlich ist, um langfristige Erfolge zu erzielen. Sobald das Medikament abgesetzt wird, lässt der Effekt der Appetitzügelung nach. Ohne eine weiterhin gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung können die verlorenen Kilos schnell wieder zurückkommen. Daher ist es entscheidend, dass Menschen ihre Lebensgewohnheiten nachhaltig ändern, um auch nach Beendigung der Medikation die erzielten Ergebnisse zu stabilisieren.