Bundessozialgericht weist Klage ab

Urteil: Diabetes Typ 1 bedeutet nicht automatisch Schwerbehinderung

Eine 14-Jährige mit Diabetes Typ 1 aus Niedersachsen klagte vor dem Bundessozialgericht auf Anerkennung eines Grads der Behinderung (GdB) von 50, welcher auch die Einstufung als schwerbehindert mit sich gebracht hätte. Die Richter wiesen diese Forderung in letzter Instanz ab.


Erst im Dezember 2023 entschied das Sozialgericht Bremen, dass ein dreijähriges Mädchen mit Diabetes mellitus Typ I Anspruch auf einen GdB von 50 hat. Da der Besuch des Kindergartens und andere außerhäusliche Aktivitäten nur unter ständiger Begleitung einer besonders geschulten Hilfsperson möglich seien, war die Feststellung eines GdB von 50 beantragt worden. Zuvor war ein GdB von 40 festgelegt worden, wogegen die Eltern geklagt hatten.

Klage auf Grad der Behinderung von 50

Eine ähnliche Klage eines 14-jährigen Mädchens aus Niedersachsen wurde jetzt allerdings in letzter Instanz vom Bundessozialgericht abgewiesen. Wegen ihres Diabetes Typ 1 war ihr ein GdB von 40 zuerkannt worden, mit ihrer Klage verlangte sie die Anerkennung eines Grades von 50.

Was ist der Grad der Behinderung?


Der Grad der Behinderung (GdB) gibt an, wie stark eine Person durch eine Behinderung oder chronische Krankheit beeinträchtigt ist. Der GdB wird in 10er-Schritten von 20 bis 100 angegeben; je höher der Wert, desto schwerwiegender die Beeinträchtigung.

Ab einem GdB von 50 gilt man als schwerbehindert und hat Anspruch auf verschiedene Nachteilsausgleiche, wie:

  • Steuerliche Vergünstigungen: Erhöhung des Pauschbetrags bei der Einkommenssteuer.
  • Zusätzlicher Urlaub: Anspruch auf zusätzliche Urlaubstage.
  • Kündigungsschutz: Erhöhter Schutz vor Kündigungen im Arbeitsverhältnis.
  • Vergünstigungen im öffentlichen Nahverkehr: Ermäßigte oder kostenlose Nutzung von Bus und Bahn.
  • früherer Renteneintritt

Um den GdB festzustellen, muss ein Antrag beim zuständigen Versorgungsamt gestellt werden. In Niedersachsen ist dies das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie.


Ein insulinpflichtiger Typ-1-Diabetes führe nicht automatisch zur Anerkennung einerSchwerbehinderung. Es gehe vielmehr individuell um „die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“, wie das Bundessozialgericht in seinem Urteil betont.

Einschnitte durch Insulinttherapie "genügen nicht"

Die Klägerin erfülle zwar zwei formale Voraussetzungen für einen GdB von 50, nämlich mindestens vier Insulininjektionen täglich, deren Dosis in Abhängigkeit vom Blutzucker, Mahlzeiten und körperlicher Belastung selbstständig angepasst werden muss, aber „allein die Einschnitte, die mit der Insulintherapie zwangsläufig verbunden sind, genügen nicht“, so das Urteil aus Kassel im Wortlaut.

„Erhebliche Einschnitte in der Lebensführung“ Vorraussetzung

„Ein GdB von 50 erfordert vielmehr einen dieses hohe Maß noch übersteigenden, besonderen Therapieaufwand, einen unzureichenden Therapieerfolg oder sonstige, durch die Krankheitsfolgen herbeigeführte erhebliche Einschnitte in der Lebensführung“, so die Richter. Derartige Einschränkungen könnten sich auf Arbeit, Freizeit, Essen und Mobilität beziehen. Bei Kindern und Jugendlichen gehöre dazu auch „eine alterstypische sportliche Betätigung“, nicht aber Sport, der „das Niveau von Leistungssport erreicht“. Die Jugendliche praktiziert Vielseitigkeitsreiten in Form von Leistungssport.

Was die Lebensführung betrifft, lass sich bei der Klägerin keine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung durch erhebliche Einschnitte konstatieren. Stationäre Behandlungen waren bislang nicht erforderlich geworden, hypoglykämische Entgleisungen oder Folgeschäden an anderen Organen habe es nicht gegeben. Auch die soziale Entwicklung  der Jugendlichen sei nicht gefährdet.

Möglichkeit der Gleichstellung ab GdB von 30


Personen mit einem GdB von mindestens 30, aber unter 50, können sich auf Antrag mit schwerbehinderten Menschen gleichstellen lassen. Dies ist möglich, wenn sie aufgrund ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz finden oder ihr aktueller Arbeitsplatz gefährdet ist.

Vorteile der Gleichstellung:

  • Erhöhter Kündigungsschutz: Gleichgestellte Personen genießen einen besonderen Schutz vor Kündigungen.
  • Unterstützung am Arbeitsplatz: Es besteht Anspruch auf Hilfen zur Ausstattung des Arbeitsplatzes sowie Betreuung durch spezielle Fachdienste.
  • Fördermöglichkeiten für Arbeitgeber: Arbeitgeber können finanzielle Anreize wie Lohnkostenzuschüsse erhalten, wenn sie gleichgestellte Personen beschäftigen.

Achtung: Einige Nachteilsausgleiche, wie beispielsweise zusätzlicher Urlaub, stehen nur Personen mit einem GdB von 50 oder höher zu.


Das Bundessozialgericht stellte klar, dass Kinder und Jugendliche mit Diabetes zwar regelmäßig von ihren Eltern oder auch von einer professionellen Assistenz begleitet und überwacht werden müssen, dies den GdB in der Regel jedoch nicht erhöhe. Denn beides habe ja gerade das Ziel, „die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern und damit die Auswirkungen einer Behinderung möglichst abzumildern oder zu beseitigen“.

Anderes könne nur gelten, wenn die gesteigerte elterliche Überwachung das Kind in eine Sonderstellung bringe, die seine Entwicklung und Integration beeinträchtige. Solche „ausreichend gewichtige“ Einschnitte seien hier aber nicht ersichtlich.