Ab 2035 wird es kritisch

Gesundheitssystem: Zeitbombe Demografie

Die Babyboomer der Jahrgänge 1955 bis 1970 werden älter und in den kommenden Jahrzehnten eine Herausforderung für das deutsche Gesundheitssystem. Dabei mangelt es bereits jetzt an Fachkräften. Allerhöchste Zeit zu reagieren!


„Wir haben noch etwa zehn Jahre Zeit, um uns auf die Jahre mit der wahrscheinlich höchsten Nachfrage vorzubereiten“, warnt Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey, von der Charité in Berlin im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt. „Der Kipppunkt des Systems wird zwischen 2035 und 2050 sein. Für diese Zeit müssen wir Konzepte für die soziale, medizinische und pflegerische Versorgung der Babyboomer-Generation finden.“

Krankenhäuser nicht vorbereitet

Das Gesundheitssystem ist eines der Felder, die mit am stärksten vom demografischen Wandel betroffen sein werden. Dabei gibt es in Krankenhäusern und Pflegeheimen schon jetzt zu wenig Fachkräfte. Und diese Mitarbeiter werden auch älter und viele in den kommenden Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden. Die Zahl der Menschen über 80, die sowohl medizinisch als auch pflegerisch betreut werden müssen, wird in den kommenden Jahren stark ansteigen. Vermutlich werden auch künftig immer mehr Menschen 90 Jahre und älter werden.

Der Mangel an Ärzten und Pflegern, der bereits jetzt existiert, wird dramatisch steigen. Die Krankenhäuser sind auf die wachsende Zahl der Patienten noch nicht vorbereitet, wie eine Studie der AOK zeigt. 

Neue Strukturen schaffen

Die Kommission „Demografischer Wandel“ der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina veröffentlichte dazu eine Publikationssammlung. Daraus: „Die Gesundheit, die Lebenserwartung und die Lebensqualität sowie die soziale Teilhabe im Alter werden maßgeblich von unterschiedlichen Faktoren wie dem sozioökonomischen Status, individuellen Risiken, dem Bildungsstand, familiären Verhältnissen, dem Lebensumfeld, Stadt-Land-Unterschieden und Altersstereotypen beeinflusst. Somit wirkt sich der demografische Wandel auf verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich aus.“Prof. Dr. Gerd Kempermann, Sprecher der Kommission der Leopoldina, weiter: „Einer der Hauptpunkte, die wir fordern, ist eine ressortübergreifende Herangehensweise.“ Die Kommission ruft dazu auf, die Vorbeugung auch auf Ebene von Gemeinde und Vereinen zu verbessern.

Kuhlmey sieht daran anknüpfend auch die Kommunalpolitik in der Verantwortung: „Für die Gesundheitsversorgung müssen wir auf regionalspezifische Konzepte setzen. Ländliche Regionen brauchen andere Konzepte zur Versorgung als die Großstadt.“ Inzwischen gebe es viele Konzepte in den Kommunen, die nachhaltig vor Ort verankert seien. Sie fordert von der Bundespolitik aber „einen großen Wurf in der Pflegereform“. Dieser müsse ähnlich grundlegend der Einführung einer Pflegeversicherung 1995 sein.

Prävention für das hohe Alter

Um Pflegebedürftigkeit und frühzeitigen Einschränkungen im Alter vorzubeugen, fordern Forscher auch ein Umdenken bei jedem Einzelnen. „Menschen, die alt und hochbetagt werden, müssen Vorsorge treffen für Lebensabschnitte mit gesundheitlichen Einbußen oder Hilfebedarf“, sagt Kuhlmey.

Ein Ziel dem entgegenzusteuern wäre es, dass die Älteren ihren Lebensabend möglichst lange und gesund verbringen und die Spanne am Ende, bei der sie pflegebedürftig werden, möglichst kurz bleibt. Dadurch würde die Zahl der Pflegebedürftigen nicht so stark wie die der Hochbetagten ansteigen. Viele Erkrankungen hingen zum Teil auch vom Lebensstil ab und ließen sich manchmal verhindern. Dazu zählten Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch Demenz. Letzterer könne man durch gute Cholesterinwerte, Hörgeräte, Brillen, Bewegung und Sport und das Vermeiden von Nikotin und Kopfverletzungen effektiv präventiv begegnen.